„Selige Öde auf sonniger Höh - Ludwig II. und Richard Wagner"

Ein heiteres Schauspiel mit Musik von Uwe Hoppe

Studiobühne Bayreuth auf dem Hof-Theater im Steingraeber-Palais, Friedrichstraße 2

Uraufführung: 17. Juli 2004
Weitere Termine: 23. Juli, 4., 5., 12., 13., 17. und 18. August 2004

Eine Besprechung von Marcus Spangenberg

Über die Beziehung von Richard Wagner zu Ludwig II. ist bereits seit dem Jahr 1864 sehr viel geschrieben und spekuliert worden. Einigermaßen einig sind sich die Historiker und Musikwissenschaftler immerhin darin, daß es sich um eine Verbindung zwischen einem Künstler und einem absolut hingebungsvollen Mäzen handelte, deren Komplexität und Vielschichtigkeit nahezu einzigartig ist.
So verwundert es nicht, wenn auch Film- und Schauspielregisseure sich gerne dieses Stoffes annahmen - mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen und Deutungen. Es war daher nur eine Frage der Zeit, bis auch Uwe Hoppe - der bekannte Bayreuther Schauspieler, Sänger, Autor und Regisseur mit einer Vorliebe für Wagner-Themen - das ungleiche Paar die Reihe seiner Bayreuther Sommerspiele aufnahm.
Am 17. Juli hatte „Selige öde auf sonniger Höh" im Hof-Theater im Steingraeber-Palais seine Uraufführung, als gekonnter Sub-Hügel-Auftakt vor den Wagner-Festspielen.

Die Zuschauer werden Zeuge eines Konfliktes zwischen Jugendlichen, die sich irgendwo in einem Haus ein Versteck einrichteten, das sie vor dem Zugriff Erwachsener schützen soll. Doch gerade in diese vermeintliche Geborgenheit bricht die Rebellion der ältesten Tochter gegenüber ihrer Mutter, die die Geschwister zur eigenen Meinungsbildung zwingt. Die Mutter, so meint die älteste Tochter, vergnüge sich gerade im Musikzimmer mit zwei Männern, obwohl der Tod des Vaters bzw. Ehemannes noch nicht lange zurückliegt. Und ausgerechnet an diesem Tag hätte der Vater Geburtstag, den die Mutter wohl vergessen habe.
Es dauert nur wenige Sätze und jedem wird klar, wo und wann Uwe Hoppe diese Szene ansiedelt: In die Villa Wahnfried des spielfreien Jahres 1932. Wir haben es mit den vier Kindern von Winifred und Siegfried Wagner zu tun, geboren zwischen 1917 und 1920: Wieland und Wolfgang und Friedelind und Verena. Ihre Namen werden aber in diesem Schauspiel nicht genannt. Schließlich seien „Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen ... rein zufällig und durchaus unbeabsichtigt", wie das Programmheft vorsichtshalber verrät. Dies ist auch kein Wunder, schließlich lebt und arbeitet der älteste Sohn nur wenige Kilometer entfernt noch immer als Leiter der Bayreuther Festspiele...

Einer der besagten Männer, die gerade zu Gast sind und die die rebellierende Tochter Maus (im wirklichen Leben Friedelind) keineswegs sehen möchte, ist der Onkel Wolf. Im Haus Wahnfried ließ sich Adolf Hitler von Winifred Wagner und ihren Kindern mit dem Vornamen „Wolf" anreden.
So haben wir es mit einer durch und durch lokalen Handlung zu tun, die aber weit darüber hinaus in die deutsche Geschichte weist. Vieles in „Selige öde auf sonniger Höh" ist dem Aufführungsort und der ewigen Auseinandersetzung Bayreuths mit dem Wagner-Clan geschuldet, deren eigene Familiengeschichte bis heute spannender ist als die Handlung in Richard Wagners Ring des Nibelungen.

Teil dieser Familien-Geschichte ist auch die verdrängte Homosexualität von Siegfried Wagner, die durchgehendes Thema ist und damit überleitet in das Spiel im Spiel: Maus bittet ihre Geschwister, nun endlich das Stück über die Beziehung ihres Großvaters zu Ludwig II. aufzuführen, das sie zum 60. Geburtstag ihres Vaters schrieb, aber dessen Aufführung bereits zweimal untersagt wurde. Nun also wäre der geeignete Zeitpunkt, um des mittlerweile toten Vaters mit einem Schauspiel gebührend zu gedenken, dem durch Verwandte zerstörte kompromittierende Briefe Ludwigs und Wagners zugrunde lägen, die Maus vor der Vernichtung abgeschrieben habe.
Trotz anfänglicher Proteste wegen der lang zurückliegenden Proben beginnen die beiden Brüder - deutlich gezeichnet der Konflikt zwischen Wieland und Wolfgang Wagner! - und die jüngste Schwester Maus zuliebe das Schauspiel. Auch Bedenken wegen der mangelnden Ausstattung sind schnell behoben: „Streng deine Phantasie an, dann wirst du alles sehen, was du sehen willst. Theater findet im Kopf statt", läßt Uwe Hoppe den Großen ein immer wieder gern verwendetes Zitat sprechen, das zugleich auf die Rolle verweist, die der Große übernimmt: Ludwig II. Die jüngste Tochter, die Kleine, spielt Richard Wagner und der Kurze einen Minister und später Dr. Bernhard von Gudden. Maus verbleibt in der Rolle der Regisseurin und unterbricht immer wieder die nun nachfolgende Handlung, um unter Protest auf fehlende, szenisch aufwendige Szenen hinzuweisen, die die Geschwister aus verschiedenen Gründen aus dem Drehbuch strichen.

Das Stück im Stück ist eine raffinierte Möglichkeit, verschiedene Zeitebenen und auch Biographien miteinander zu verbinden, zu vergleichen und auch abzugrenzen. Doch darin liegt hier auch die Problematik der „Seligen Öde", denn es müssen auf Teufel heraus sowohl Verbindungen zwischen Siegfried Wagner und Ludwig II. als auch zwischen „Wolf" Hitler und Ludwig II. hergestellt werden, die nicht halten wollen.
Dem Regisseur gefällt es, Ludwig II. als eine Person zu charakterisieren, die völlig von der Wirklichkeit entfernt lebt und nur eines im Sinn hat: Die unabdingbare Zuneigung zu dem sächsischen Musiker. Aber es ist keine geistige, sondern vor allem körperliche Zuneigung, die ihn an Wagner bindet, die dieser aus eigennützigen Gründen zuläßt. Deutlich hebt das Stück erfolgte Penetrationen des Königs an Wagner hervor, der über Ludwig klagt: „Aber warum mußt du dir immer neue Parsiphalle [sic!] holen in deine verborgenen Gralsburgen...?"

Eingewoben in eine der beiden Protagonisten ebenbürtigen schwülstigen Sprache entsteht ein Bild, das der Realität in keiner Weise entspricht, aber auch künstlerisch nur bedingt annehmbar ist. Denn das „heitere Schauspiel" kann sich nicht entscheiden, welche Ebene es ausspielen möchte: Die Tragik der Familie Wagner oder eine wie auch immer faszinierende Nähe zwischen Komponist und Bayernkönig. Beide Handlungsstränge sind ausschließlich über die Frage der Sexualität (Siegfried Wagner / Ludwig II.) und der unterschwellig behaupteten Nähe zwischen Adolf Hitler und Ludwig II. durch das „deutsche Wesen" verbunden. Letztendlich störend wirkt das für ein solches Schauspiel zu indifferent vorgetragene Thema des Antisemitismus.
Viel zu leicht und daher deplaziert wirkt es in diesem Stück. Da hilft es auch nicht mehr, wenn zum Abschluß Maus Hitler eindrucksvoll parodiert und dabei deutschtümelnde und antisemitische Texte von Richard Wagner zitiert - was im übrigen die Geschwister überaus verunsichert. Diese beanspruchen plötzlich als Träger ihrer jeweiligen Rolle die soeben gesprochenen Worte alleine für sich: Wagner, Ludwig II. und Gudden sind Männer desselben nationalistischen und antisemitischen Geistes. Zugleich schwebt hier der berechtigte lokale Bezug, denn die Bayreuther Festspiele verstanden das Vermächtnis Richard Wagners als Verpflichtung auf eine national-deutsche und judenfeindliche Ideologie.

Aus dieser vertrackten Situation hilft dann nur noch der Ruf der Mutter zu Schokolade und Torte, nicht bevor sich diese ihrer ältesten Tochter gegenüber dann doch als treu an den Geburtstag ihres verstorbenen Mannes Gedenkende offenbart.

Wie sagt die Mutter zum Schluß über die Richard-Wagner-Zitate: „Was hat das denn in einem Stück über König Ludwig II. zu suchen?". Worauf Maus antwortet: „In einem Stück über den König u n d Richard Wagner! Du weißt ja wohl, dass der König sowohl als auch dein Wolf das Werk des Meisters in die Tat umsetzen wollen. Du hast wohl die Sieger nicht gelesen? Vielleicht ist dein Wolf ja die Wiedergeburt vom König Ludwig."

Es ist die Leistung der - bis auf die Darstellerin der Mutter - durchweg recht jungen Schauspieler, die die Problematik einer jungen Generation aber zugleich auch ihre historischen Figuren überzeugend darstellen.
Uwe Hoppe hat einen immensen Fundus an Hintergründen und Möglichkeiten zusammengetragen, die auf vielfältige und manchmal auch geniale Weise herausgearbeitet werden. Nur fehlt es an einer überzeugenden Stringenz in der Umsetzung.

Für die Geschichte der Ludwig-Rezeption wiederum ist „Selige Öde auf sonniger Höh" (ein Zitat aus "Siegfried", dritter Akt, zweite Szene) ein überaus wichtiges Schauspiel, das alleine deswegen einen Besuch auf jeden Fall lohnt.

Regie: Uwe Hoppe
Bühne: Daniel Reim
Kostüme: Heike Betz
Klaviereinspielung: Hans Martin Gräbner

Kartenvorverkauf: Theaterkasse Bayreuth, Tel. 0921 - 69001

www.studiobuehne-bayreuth.de

Personen der Handlung und ihre Darsteller:

Maus, ein Mädchen von ca. 14 Jahren Christian Schmidt
Kurzer, ihr jüngerer Bruder von ca. 13 Jahren Julian Birkner
Kleine, ihre jüngere Schwester etwa 12 Jahre alt Barbara Dörfler
Großer, der älteste Bruder, etwa 15 Jahre alt Dominik Kern
Mama, Mutter der vier Kinder Inge Müller
Ludwig II. (gespielt vom Großen)
Minister und Dr. von Gudden (gespielt vom Kurzen)
Richard Wagner (gespielt von der Kleinen)
Wolf (gespielt von Maus)



Infos zum Bild:
Vorletzte Szene: Maus (Christian Schmidt) verkleidet sich als Onkel Wolf; vor ihr v.l.n.r. die Kleine (Barbara Dörfler) als Richard Wagner, Kurzer (Julian Birkner) als Dr. von Gudden und Großer (Dominik Kern) als Ludwig II..
Foto: Regina Fettköther