Lust am Orient

„Orientalische Reise. Malerei und Exotik im späten 19. Jahrhundert"

Wien, Hermesvilla

www.wienmuseum.at

Bei Eiseskälte und Schneetreiben bahne ich mir den Weg durch den Lainzer Tiergarten zur Hermesvilla. Dieses Denkmal einer gescheiterten Beziehung zwischen Kaiser Franz Joseph von Österreich und seiner Gemahlin Elisabeth (der Kaiser machte seiner Frau die Villa in der dann unerfüllten Hoffnung zum Geschenk, sie könnte ihr Alterssitz werden) ist seit einigen Jahrzehnten ein Ausstellungshaus der Museen der Stadt Wien. Immer wieder komme ich gerne an den Rand der Millionenstadt Wien, denn hier werden zur opulenten Innenausstattung des Historismus passende Präsentationen geboten, die nicht wie in den musealen Tourismusmagneten in der Innenstadt (1., 4. und 7. Bezirk) heillos überrannt werden. In der Hermesvilla ist es meistens noch möglich, sich der Objekte in Ruhe zu widmen und den Gesamteindruck einer Ausstellung wahrzunehmen. Ist diese dazu noch - wie überwiegend gelungen konzipiert, steht der Besucherfreude nichts mehr im Wege.

Nun bin ich gespannt auf die „Orientalische Reise", zu der mich Plakate mit der Abbildung eines sphinxhaften Gesichtes (s. Abbildung) in den 13. Bezirk lockten. Im Kopf habe ich die Beziehung König Ludwig II. zum Orient, die sich in Bühnenbildern für Separatvorstellungen und in zahlreichen Architekturen (Maurischer Kiosk und Marokkanisches Haus in Linderhof, Saal im Königshaus auf dem Schachen, Kiosk und Zelt im Münchner Wintergarten, Kiosk in Schloß Berg, geplanter Maurischer Saal in Neuschwanstein) manifestiert. 

Der bayerische König war ebenso vom Exotischen fasziniert, wie viele seiner Zeitgenossen in Europa. Den Unterschied zu diesen machte - wie überhaupt bei nahezu allem in seinem Leben - die Stringenz und Bedingungslosigkeit in der Umsetzung aus, die Ludwig antrieb. Denken wir hierbei nur an die verkleideten und Wasserpfeife rauchenden Diener im orientalischen Saal im Königshaus auf dem Schachen, die die Illusion verstärkten.

Bereits bei Napoleons ehrgeizigem Feldzug gegen Ägypten 1798 reisten im Troß auch Forscher und Maler, die mit ihren Darstellungen das gesamte europäische Kunstschaffen nachhaltig beeinflußten. Die nahöstlich inspirierte Literatur eines Victor Hugo oder Lord Byron sind Beispiele dafür. 

Und auch die Oper, die schon im 17. und 18. Jahrhundert mit Händel oder später mit Mozart und Paisiello das zauberische Kolorit mit exotischen Pflanzen und Zwiebeltürmchen als Kulisse zu nutzen wußte, wurde nun abermals durch die bildhafte Anschauung angeregt - wir denken da gleich an Rossinis „L'Italiana in Algeri" und später Verdis "Aida", die auch Ludwig (als einzige Verdi-Oper) gerne sah und hörte.

So stehen in der Ausstellung insgesamt rund fünfzig Gemälde von Orientmalern (Eduard Charlemont, Carl Rudolf Huber, Johann Victor Krämer, Alphons Leopold Mielich, Alois Schönn und Leopold Carl Müller) aus dem Gebiet der österreichisch-ungarischen Monarchie im Mittelpunkt, da diese die exotische Welt in die von Sehnsucht nach Besonderem und Exotischem geprägte westliche Zivilisation trugen. Auch Kaiser Franz-Joseph und Elisabeth gehörten zu den Kunden der Wiener Orientmaler. Doch den besonderen Reiz der nicht übergroßen aber stimmigen Ausstellung macht aus, daß die Bilder in öl mit seltenen Fotografien der nach ägypten gereisten Künstler (darunter auch von Hans Makart und Franz Lenbach), zahlreichem Kunstgewerbe, Reiseplakaten, zeitgenössischem Nippes (dem auch Ludwig so fröhnte) sowie frühen Marketingstrategien für Zigaretten und Insektenpulver korrespondieren.

Bereits der erste Saal mit einem orientalisch angehauchten Pavillon präsentiert über Kunstwerke hinaus einige Facetten der Orient-Faszination, die im Europa des 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erfuhr. Ob aber unter den Exponaten der Umhang der Kaiserin Elisabeth und ein Reiseservice besonders ausdrucksstark sind und das Thema transportieren, mag bezweifelt werden.

Nach den Malern, unter denen Leopold Carl Müller (1834 bis 1892) mit seinen Werken besonders hervorsticht, entdeckte auch der Hochadel der österreichisch-ungarischen Monarchie den Orient als Reiseziel. Am bekanntesten ist die Reise von Kronprinz Rudolf zusammen mit dem Maler Franz von Pausinger, deren Erlebnisse in dem Werk „Eine Orientreise" niedergelegt sind, daß der Habsburger auch seinem Freund Ludwig II. als Prachtausgabe zukommen ließ. Rudolf ließ sich übrigens im Anschluß an seine Reise in seinen Gemächern in der Hofburg ein „Türkisches Zimmer" einrichten, von dem in der Ausstellung einige erhaltene Möbel und Ausstattungsstücke zeugen. Zur Begegnung Europas mit fremden Kulturen trugen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auch die Weltausstellungen bei. So war es auch die Wiener Weltausstellung von 1873 mit ihren orientalischen Bauten, die den bereits genannten Maler Leopold Carl Müller anregte, ägypten (=Orient) als Land und die Orientmalerei als Geldquelle zu entdecken. Nicht nur deswegen entfaltet die Präsentation in der Hermesvilla anhand zeitgenössischer Fotografien (s. Abbildung) der morgenländischen Pavillons im „Orientalischen Viertel" und eines Gesamtplanes des Ausstellungsgeländes ein Kaleidoskop einer virtuellen Weltreise, wie sie im 19. Jahrhundert möglich war.

Exotische Architekturkulissen vermittelten den Besuchern eine Vorstellung von den unterschiedlichen Baustilen der teilnehmenden Länder. Fotografien und Stiche in den Illustrierten transportierten das Aus- und Dargestellte weit über Wien und österreich hinaus. Einer, der sich ganz besonders dafür interessierte, war Ludwig II. Er ließ sich über seinen Vertrauten Richard Hornig eingehend von der Weltausstellung in Wien berichten und studierte mit großem Interesse alle vorhandenen Beschreibungen. Dabei wird ihm wohl auch das in der Presse verschiedene Male ausführlich gewürdigte Marokkanische Haus aufgefallen sein, das er dann fünf Jahre später, nämlich auf der Pariser Weltausstellung 1878, für Linderhof erwarb. 

 

Dieses Haus ist in der Reihe der orientalischen Bauten Ludwig II. im übrigen das einzige, das tatsächlich im Orient erschaffen wurde, während die anderen Interpretationen der orientalischen Kunst durch europäische Architekten darstellen.

Die Ausstellung „Orientalische Reise. Malerei und Exotik im späten 19. Jahrhundert" bietet daher weit über die zunächst auf Österreich konzentrierte Darstellung der Orient-Lust hinaus einen gelungenen und konzentrierten Einblick in das Orient-Phänomen des 19. Jahrhunderts. Für jeden an Ludwig II. und seinen Architekturen Interessierten bietet sich eine wunderbare Gelegenheit, diese in einen Gesamtzusammenhang einzubetten, auch wenn nicht alle Facetten berücksichtigt werden konnten. 

Nachtrag:
Im ersten Obergeschoß der Hermesvilla wird zeitgleich die Ausstellung „Villa mit Grünbl., kaiserl., teilmöbl., 1350m² Wohnfl. - Die Hermesvilla und ihre Geschichte" gezeigt. Die erhaltenen Möbel, Gemälde, Plastiken und kunstgewerblichen Objekte werden wieder an ihrem originalen Ort präsentiert. Darunter befinden sich auch drei Darstellungen Ludwig II.: Ein Porträt von Albert Gräfle, ein Porträt des aufgebahrten Königs von Joszi Arpad Koppay und die Allegorie „Ein ewiges Geheimnis" auf den Tod des Königs von Angelo von Courten als große Fotografie.

Literaturempfehlungen neben dem hervorragenden Ausstellungskatalog: Stefan Koppelkamm, Der imaginäre Orient. Exotische Bauten des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts in Europa, Berlin 1987 Ausstellungskatalog „Exotische Welten. Europäische Phantasien" (Stuttgart, Württembergischer Kunstverein, 02.09. bis 29.11.1987)

Abbildungen:
Leopold Carl Müller
Ein Sphinxgesicht von heute
Öl/Leinwand
Wien, Österreichische Galerie Belvedere

Palais des Vizekönigs von Ägypten auf der Wiener Weltausstellung 1873.
Fotograf: Michael Frankenstein, Verlag der Wiener Photographen Association
Albuminpapier
Wien Museum

Marcus Spangenberg - Regensburg, den 08.02.2004