Theater anders – Wie Ludwig II. und seine Schlösser nur mit der Bühnenkunst denkbar sind
Zum Erlebnis eines Theaterbesuchs gehören offenbar das Sehen und Gesehenwerden, ein Pausengetränk und der Austausch mit weiteren Besuchern, bevorzugt über das Kleid der Sitznachbarin und nicht über die Inszenierung. Diese ist gemeinhin eh viel zu modern und unschlüssig. Früher war allemal alles besser.
Früher, um einen großen Schritt in die Zeit des 19. Jahrhunderts zurückzugehen, da gab es noch Monarchen. Sie nutzten das Theater als Bühne ihrer Herrschaft und wollten unbedingt gesehen werden – auch während der Vorstellung.
Einer unter ihnen unterwarf sich zu Beginn seiner 1864 begonnenen Herrschaft noch diesem gesellschaftlichen Codex, obwohl bereits andere Sehnsüchte in ihm schlummerten. 1872 aber war damit Schluss. Er, der sowieso keine Staatsgäste ins Theater begleitete, wollte von nun an ungestört sich dem Geschehen auf der Bühne widmen, gleichsam in dieses tief eintauchen. Für ihn, der bereits als Kind und Jugendlicher eine intensive Theaterleidenschaft besaß und sich mit gleichaltrigen Verwandten darüber austauschte, war die Bühne mehr als nur Unterhaltung. Sie war ein unverzichtbarer Teil seines Lebens und wurde gleichsam das Reißbrett, auf dem viele seiner architektonischen Vorhaben geformt wurden.
Der wundersame König Ludwig II. von Bayern (1845–1886) war es, der mit Schauspiel-, Opern- und Ballettvorstellungen für sich allein von 1872 bis 1885 einen glitzernden Edelstein in die Krone der Theatergeschichte einfügte. Insofern ist es folgerichtig, dass sich das Deutsche Theatermuseum mit Sitz in München dieser Separatvorstellungen annimmt und eine dicht gefüllte Ausstellung auf kleinem Raum präsentiert: „In meiner Vorstellung. Die Welt der exklusiven Aufführungen von König Ludwig II.“ (bis 30. Juli 2023) ermöglicht unter anderem mit Schaumodellen, Bühnen- und Kostümentwürfen, Fotografien einzelner Aufführungsmomente und Rollenbildern eine Annäherung an diese exquisite, von einem König bestimmte Theaterwelt.
Allesamt in München gingen die 209 Separatvorstellungen zu abendlicher Stunde über die Bühne, entweder im Hof- und Nationaltheater oder im Residenztheater (heute als Cuvilliéstheater bekannt). Vornehmlich waren es Schauspiele (154), um deren Auswahl, Rollenbesetzung und Ausstattung sich Ludwig selbst kümmerte. Anfänglich ließ Ludwig überwiegend Stücke aufführen, die im Frankreich des 17. oder 18. Jahrhunderts spielten und in denen die Bourbonenkönige im größten Herrscherglanz dargestellt werden mussten. Dazu vergab der König auch Aufträge an Hofdichter, die von ihm ausgewählte historische Ereignisse als Schauspiel umsetzten. Ihm war es wichtig, auf der Bühne Geschichte so realitätsnah wie möglich zu erleben.
Einer Zeitreise gleich verlangte er äußerste Genauigkeit bei Kostümen und Bühnenhandlung, wozu Stichvorlagen und zeitgenössische Erzählungen als authentische Quellen herangezogen wurden. „Dem Dichter möchten Sie … zu wissen machen, daß die Erklärung des Herzogs von Anjou von Spanien nicht im Schlafzimmer stattgefunden hat, sondern in einem sogenannten Grand Cabinet. Sie möchten aus Paris einen Stich kommen lassen von Gérard, der diese Szene vorstellt, in dem letzten Akt soll die Gruppierung genauso werden wie auf dem Bild“, lautete eine der königlichen Anweisungen an den verantwortlichen Hofsekretär.
Die Bühnenbilder korrespondierten zugleich mit Ludwigs Bauplanungen. Denn auf der Münchner Bühne konnte er Raumerlebnisse vorwegnehmen und ausprobieren, bevor er sie als steingewordene Architektur in seinen Schlössern umsetzen ließ. Kein Wunder, dass Theatermaler und Bühnenbildner auch an den Schlossplanungen und beim Anfertigen von Entwürfen beteiligt waren.
Diese in der Kulturgeschichte herausragende Verzahnung von Architekturplanung und Theater bei Ludwig II. hätte in der Ausstellung mehr Raum und Objekte verdient. Schließlich hob der bayerische Monarch die Theater-Kunst mit allen ihren Facetten in eine weit über die Bühne ausgreifende Bedeutungsebene. In der gedrängten Münchner Präsentation müssen daher vor allem eine großformatige Fotografie eines verschollenen Bühnenmodells mit der Ansicht der Spiegelgalerie von Versailles (1873, für das Schauspiel „Das Alter eines großen Königs“) und Dokumente zum Stück „Der Weg zum Frieden“ dem Besucher das Besondere bei Ludwig II. aufzeigen: So habe Ludwig bei einer Aufführung des Letzteren die Wiederholung der auf der Bühne im farblichen Wechsel beleuchteten Szene mit dem Latonabrunnen von Versailles verlangt. Zudem habe der König „Der Weg zum Frieden“ unterbrechen beziehungsweise anhalten lassen, um bestimmte Schauplätze und Stimmungen zu wiederholen. Hier nahm Ludwig II. etwas vorweg, was er Jahre später auf der Herreninsel in (Garten-)Architektur erleben konnte und das als Schloss Herrenchiemsee von uns besichtigt werden kann. Zugleich stellt dieses Beispiel königlichen Umgangs mit dem Theatergeschehen die Nützlichkeit der Bühne als Ort der Imagination und des Ausprobierens für Ludwig II. heraus.
Hierzu erweist sich die Nähe der Münchner Residenz gleich gegenüber dem Deutschen Theatermuseum als Glücksfall: An vier Orten in einer der größten innerstädtischen Schlossanlagen Europas gibt es sogenannte Interventionspunkte, also eine Weiterführung der Ausstellung mit Objekten und Inszenierungen. Vor allem im Paradeschlafzimmer von Kurfürst Karl Albrecht von Bayern (1697–1745) wird deutlich, aus welchen Quellen Ludwig II. Anregungen für seine Bauten schöpfte: aus vorhandenen älteren Architekturen und deren Interpretationen im Bühnenbild. Eine Kooperation des Museums mit der Bayerischen Schlösserverwaltung ermöglicht es nämlich, das erhaltene Bühnenmodell für das Versailler Paradeschlafzimmer in „Das Alter eines großen Königs“ (1873) in das kurfürstliche Münchner Schlafzimmer zu positionieren, das eben dieses Paradeschlafzimmer von Versailles als Vorbild hat (das originale Bühnenbildmodell wurde aus konservatorischen Gründen mittlerweile durch eine Filmdokumentation in einem Guckkasten ersetzt).
Kombi-Führungen der „Münchner Schatzsuche“ im Theatermuseum und zu den vier eigens aufgebauten Stationen in ausgewählten Räumen in der Münchner Residenz geben auf unterhaltsame Weise Einblicke in die Verflechtungen von Bühne und Leben des Königs (90 Minuten).
„In meiner Vorstellung“ fesselt durch erstmalig ausgestellte Objekte, darunter Text- und Regiebücher sowie Autographen und Fotografien, und durch eine Vielzahl an recherchierten Details und Zusammenhängen. Umso bedauerlicher ist es, dass es keinen Katalog gibt, nicht einmal als PDF zum Herunterladen. Es wäre zu wünschen, wenn die erstellten Texte zu den Objekten und die Tafeltexte zukünftig Forschenden und allen Interessenten zugänglich werden würden.
Es wäre eine wichtige Grundlage für das, was diese sehenswerte Präsentation aufzeigt: Es ist noch lange kein Ende, die Auswirkungen der Separatvorstellungen auf und Notwendigkeiten für Ludwig II. herauszuarbeiten. In einer zukünftigen im wahrsten Sinne des Wortes größer gedachten Ausstellung wird dann hoffentlich auch der Münchner Schauspieler Richard Stury (1859–1928) zu Ehren kommen. Er stand nicht nur mit Josef Kainz vor Ludwig II. auf der (Separatvorstellungs-)Bühne, sondern wurde vom König, der ihm einige Briefe schrieb, wegen seiner darstellerischen Leistungen mit Geschenken überhäuft.
Ludwig rechtfertigte übrigens die aufwendigen und für seinen Geldbeutel überaus teuren publikumsfreien Sonder-Aufführungen mit dem Hinweis, dass er „keine Illusion im Theater habe, solange die Leute mich unausgesetzt anstarren und mit ihren Operngläsern jede meiner Mienen verfolgen. Ich will selbst schauen, aber kein Schauobjekt für die Menge sein“. Damit wäre er auch im 21. Jahrhundert ein Exot.
„Oh Sehnsucht, Sehnsucht, du hältst das Weltall zusammen. Du bist doch das Beste am Leben. Ach, wer keine Sehnsucht mehr fühlt, ist wert zu sterben … Oh Gott, erhalte mir die Sehnsucht.“
Aus dem Monolog des Narziss Rameau an einen Pagoden gerichtet, aus dem Stück „Narziss“ von Albert Emil Brachvogel, 4. Aufzug, 4. Szene.
Die Ausstellung „In meiner Vorstellung. Die Welt der exklusiven Aufführungen von König Ludwig II.“ ist noch bis 30. Juli 2023 im Deutschen Theatermuseum München, Galeriestraße 4a, zu sehen.
Allgemeine Informationen zur Ausstellung und alle Angaben zu den Kombi-Führungen wie zu den Theaterworkshops für Kinder gibt es auf der Website des Deutschen Theatermuseums unter www.deutschestheatermuseum.de