Bayern scheint schon immer ein Ort für prächtige Wagen gewesen zu sein. Zumindest erhält der Besucher im Marstallmuseum zu Schloss Nymphenburg in München diesen Eindruck, wenn er entlang prunkvoller Kutschen und Schlitten jahrhundertelangen Fahrzeugbau in Bayern bewundern kann. Spätestens bei Betrachtung der für Ludwig II. (König von 1864 bis 1886) entstandenen Gefährte mag man die direkte Verbindung zu traumhaften Nobelkarossen der Jetztzeit ziehen.
Gerade diese Schlitten und Kutschen in Formen des Neurokoko trugen nicht unerheblich zur Mystifizierung des Herrschers bei. Wie märchenhaft muss der Anblick des im verschneiten Gebirge dahinbrausenden Galaschlittens gewesen sein, der in die tiefe Nacht hinein goldenes Licht durch Fackeln verbreitet. Louise von Kobell, eine Zeitzeugin: „Bei den Nachtfahrten Ludwigs II. durfte weit und breit sich niemand blicken lassen. Im Schloßhof [Anm.: gemeint ist Schloss Linderhof] herrschte tiefe Stille, die nur von dem ungeduldigen Scharren der am Schlitten oder Wagen angespannten Pferde unterbrochen war. Endlich erschien der König, zur Winterzeit fest eingehüllt gegen Wind und Wetter, eine blitzende Diamantagraffe auf dem breitkrempigen Königsornat wie Ludwig XIV., mit dem er sich in seinen Phantasien dann und wann identifizierte. Der Marstallfourier sprengte voraus, die Zügel in der rechten Hand, die weithin leuchtende Fackel in der linken, mit Windeseile folgte das trotz steiler Gebirgswege vom vom Kutscher sicher geleitete Fahrzeug, zu dessen Seite der Stallmeister, im schärfsten Tempo.“ Theodor Hierneis, damals Küchenjunge in der Hofküche, weiß ergänzend zu berichten. „Die nächtlichen Fahrten glichen in ihrer blitzartigen Geschwindigkeit einem nächtlichen Spuk, einem Märchenbild, das den wenigen Augenzeugen ein unvergänglicher Anblick, ein überirdisches Begebnis war.“
Seit etwa 1867 beschäftigen den König Prunkfahrzeuge in Formen des Barock und Rokoko, parallel zu seinen Planungen für die Schlösser Linderhof und Herrenchiemsee sowie für die Umbauten in der Münchner Residenz. Ihnen allen lagen die Zeit und der Stil der französischen Bourbonenkönige Ludwig XIV. bis Ludwig XVI. zugrunde.
Ein konkretes Vorbild für eine Prunkkarosse französischer Prägung hatte Ludwig II. in seiner eigenen Hofwagenburg: Den Zeremonienwagen des bayrischen Kurfürsten Karl Albrecht, den dieser 1742 anlässlich seiner Krönung als Kaiser Karl VI. zum feierlichen Einzug in Frankfurt am Main als Krönungswagen verwendete. Diese heute ebenfalls im Marstallmuseum zu betrachtende Prunkkarosse ist bereits um 1730 in engem Kontakt mit dem französischen Königshof von einem Pariser Wagenbauer angefertigt worden und zählt zu den bedeutendsten in Paris hergestellten Galafahrzeugen des 18. Jahrhunderts.
Ludwig II. nahm die Karosse als Vorbild für den großen Galawagen, den er als Staatswagen in Form einer „grand carosse“ im Stil Ludwigs XV. 1870/71 neu anfertigen ließ. Gegen 1880 ließ Ludwig den Krönungswagen Kaiser Karls VII. grundlegend renovieren und die Kastenfelder mit einer neuen Bemalung versehen.
Das von Theodor Hierneis genannte „überirdische Begebnis“ war aber nur möglich durch ziemlich irdische Leistungen der Münchner Hofwagenfabrikanten und Hofkünstler. Sowohl für den großen Galawagen als auch für die anderen Kutschen und Schlitten war Franz Seitz der federführende Entwerfer, der sich auch als Kostümbildner und Hoftheaterdirektor einen Namen machte. Seine Entwurfszeichnungen waren für Uniformen, Prunkgeschirre und eine Meerschaumpfeife. An diesen Zeichnungen wird deutlich, dass der König mehrfach Korrekturen angebracht hat. Die Änderungswünsche betrafen größtenteils Stilfragen. Auf diese Weise beteiligte sich Ludwig maßgeblich an der Gestaltung der Fahrzeuge.
Ausgeführt wurden die Entwürfe durch die Hofwagenfabrikanten Johann Michael Mayer und Franz Paul Gmelch. Die figürlichen Bauhauerarbeiten übernahmen Syrius Eberle und der für das Kunstschaffen in München in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts so bedeutende Lorenz Gedon. Von den Malern sind Heinrich von Pechmann, August Heckel und Wilhelm Hausschild zu erwähnen. Sie wirkten ebenso an der Ausmalung der Königsschlösser mit.
Neben dem eigentlichen Fahrzeug wurde dem Geschirr und der Bekleidung der Reitknechte große Aufmerksamkeit geschenkt. Alles musste bis ins Kleinste passen, um eine geeignete Grundlage für die Illusionen Ludwigs II. bilden zu können.
Über die Zusammensetzung eines Trosses und dessen Ausschmückung teilt uns wieder der Küchenjunge Hierneis Genaueres mit: „Es war eine herrliche sternenhelle Winternacht, der König wählte für den Fernstein (in Tirol) immer eine solche, weil er dorthin mit dem großen goldenen Schlitten fuhr. Voraus ein Vorreiter mit einer Laterne, die neben dem linken Steigbügel in einem Schaft befestigt war und an der Spitze einer zirka eineinhalb Meter langen Stange ihr Licht ausstrahlte. Der Schlitten wurde von vier Pferden gezogen, auf den Sattelpferden saßen zwei Reitknechte, die ebenso wie der Vorreiter in schwerem Rokoko-Kostüm blau- oder rotsamt gekleidet waren, mit weißen Zopfperücken, Stulpstiefeln und Schiffhüten. Das Geschirr der fünf Pferde bestand aus prunkvollen Schabracken, Sätteln und Zaumzeug, die Köpfe trugen wehende Straußenfedern, in den Farben zu den Jockeis passend. Entweder bestand die Garnitur aus Schimmeln, dann war die ganze Ausstattung blau, oder der König befahl Rappen, dann wurde eine rote Garnitur gewählt.“
Ludwigs ideale Auffassung vom Herrschertum, sein Versuch, die Zeit des Absolutismus in ihrer Prunklust noch einmal heraufzubeschwören, verdanken die Prunkwagen des Monarchen ihre Entstehung. In der für den Spätstil bezeichnenden Häufung der Schmuckformen bringen sie eine letzte Steigerung des Themas der „grand carosse“ und des „Karossencoupés“ der Barock- und Rokokozeit. Deswegen sollte man sich gerade beim Besuch von Schloss Linderhof diese Wagen vergegenwärtigen, um das von Ludwig II. Geschaffene als Gesamtkunstwerk begreifen zu können.
Irgendwelchen Einfluss auf eine künftige Entwicklung des Prunkwagens hatten die der realen Traumwelt des Königs angehörenden Schöpfungen nicht mehr. Bezeichnenderweise deckt sich das Jahr des Todes Ludwigs II. mit dem der Erfindung des Automobils.
Die innerhalb des Historismus einzigartigen Prunkfahrzeuge Ludwigs II. von Bayern sind ganzjährig im Marstallmuseum von Schloss Nymphenburg zu betrachten.
Informationen: https://www.schloss-nymphenburg.de/deutsch/marstall/index.htm